FRIEDRICH CERHA

Komponist/Dirigent

Geboren am 17. Februar 1926 in Wien. Studium an der Akademie für Musik (Geige, Komposition, Musikerziehung) und an der Universität Wien (Musikwissenschaft, Germanistik, Philosophie). Zunächst war er als Geiger tätig und stand in Kontakt zur avantgardistischen Untergrundszene junger Maler und Literaten um den Art-Club und zum Schönberg-Kreis der österreichischen Sektion der IGNM (Internationale Gesellschaft für Neue Musik). 1958 gründete er mit Kurt Schwertsik das Ensemble „die reihe“, das in der Folge Pionierarbeit in der Präsentation von Werken der Avantgarde, der Wiener Schule und der gesamten klassischen Moderne leistete. Ab 1959 Musiklehrer an der Hochschule für Musik, wo er 1976 bis 1988 eine Professur für Komposition, Notation und Interpretation neuer Musik innehatte. Seit 1986 Mitglied des Österreichischen Kunstsenats. Von 1960 bis 1997 war er als Dirigent mit renommierten Ensembles und Orchestern bei international führenden Institutionen zur Pflege neuer Musik und Festivals (Salzburger Festspiele, Berliner Festwochen, Wiener Festwochen, Biennale Venedig, Warschauer Herbst, Festival d’Automne Paris, Jyväskylä-Festival, Musica Viva München, Nutida Musik Stockholm, Neues Werk Hamburg, Musik der Zeit Köln etc.) und an führenden Opernhäusern tätig. Friedrich Cerha verstarb am 14. Februar 2023.

Sein Gesamtwerk umfasst Solo-, Ensemble-, Chor- und Orchesterwerke, für die er Aufträge von hervorragenden Institutionen und Festivals erhielt, unter anderem von Koussevitzky-Foundation New York, BNP Paribas Paris, Südwestfunk Baden-Baden, Westdeutscher Rundfunk,  Musica Viva München, Konzerthaus Berlin, Steirischer Herbst Graz, Konzerthaus und Musikverein Wien, Wiener Philharmoniker.

Auszeichnungen (Auswahl)
2017 Ehrendoktorwürde der Universität Siegen
2012 Ernst von Siemens Musikpreis
2011 Musikpreis Salzburg
2008 Goldenes Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien
2006 Österreichisches Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst
2006 Officier de l’Ordre des Arts et des Lettres
2006 Goldener Löwe der Biennale Venedig
1986 Großer Österreichischer Staatspreis
1986 Goldenes Ehrenzeichen des Landes Steiermark
1986 Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien in Gold

Werke (Auswahl)
2013 Onkel Präsident (Uraufführung im Prinzregententheater, München)
2002 Der Riese vom Steinfeld (Uraufführung in der Wiener Staatsoper)
2001-2002 Requiem für Soli, Chor und Orchester
1992-1993 Impulse für Orchester
1988 Monumentum für Karl Prantl, für großes Orchester
1987 Der Rattenfänger (Uraufführung beim Steirischen Herbst)
1981-1982 I. Keintate (II. Keintate, 1983-85)
1981 Baal (Uraufführung bei den Salzburger Festspielen)
1969 Langegger Nachtmusik I (II, 1970; III, 1991)
1962-1967 Netzwerk (sowie 1978-80)
1962 Beginn der Erstellung einer spielbaren Fassung des 3. Aktes der Oper Lulu von Alban Berg (Uraufführung 1979 in Paris)
1960-1961 Spiegel
1959-1974 Fasce für großes Orchester
1956-1957 Relazioni fragili für Cembalo und Kammerensemble

Bibliografie (Auswahl)
2017 Töfferl, Sabine: Friedrich Cerha: Doyen der österreichischen Musik der Gegenwart: eine Biografie. Wien: new academic Press
2016 Henke, Matthias; Gensch, Gerhard: Mechanismen der Macht: Friedrich Cerha und sein musikdramatisches Werk. Innsbruck, Wien, Bozen: StudienVerlag
2006 Haselböck, Lukas: Friedrich Cerha - Analysen, Essays, Reflexionen. Freiburg im Breisgau: Rombach

„Im erzkonservativen Wien der 1950er und 1960er Jahre hat man mich sehr angefeindet und meine Musik wurde abgelehnt; von manchen Leuten wurde ich sogar – wohl mit dem Begriff „Entartete Kunst“ im Hinterkopf – als „Zerstörer“ oder zumindest „Störer“ der abendländischen Musikkultur betrachtet. Natürlich war mir das nicht angenehm, aber es hat mich im Innersten nicht berührt. Ich war immer ziemlich unbeeinflusst von Erfolgen oder Misserfolgen. Unmittelbar nach dem Krieg hat mich Neoklassisches interessiert, dann die Wiener Schule und die internationale Avantgarde, ich habe aber sofort auch kritisch reagiert und um 1960 – etwa in meinem großen Orchesterzyklus „Spiegel“ – zu einer von traditionellen Formulierungen gänzlich freien, „puristischen“ Klangsprache gefunden. Später hat es mich allerdings wieder gereizt, Qualitäten aus der europäischen, aber auch aus afrikanischen und fernöstlichen Traditionen sinnvoll in meine Musik zu integrieren, reiche musikalische Organismen zu schaffen, in denen Zustände und Entwicklungen unmittelbar erfahrbar werden. […] „Markenzeichen“ in der Kunst haben mich nie interessiert und trotz meines hohen Alters suche ich immer noch nach Neuem. Der Weg, auf dem ich suche, führt notgedrungen zu mir selbst. Es geht also auch noch immer darum, neue Seiten an mir selber zu finden. Das intensive Erleben von Musik ist ein Weg in sich hinein – auch für den Zuhörer.“

(Interview mit Christa Eder für die Ö1-Serie „Der weite Weg zum Werk“, 1. Februar 2008)